Was hat das mit mir zu tun?

Es gibt Bilder, die wollen nicht sofort erfasst werden. Du schaust sie an und sie lassen Dich förmlich nicht los. Dein Blick wandert hin und her. Verweilt auf einem Detail und sucht dann sofort den Kontext. „Was sehe ich da eigentlich? Ist es das, was ich denke? Oder doch nicht?“ Kennt Ihr das? Wenn ein Bild Eure Entdeckerlust weckt? Es Euch länger fasziniert? Ihr es nicht nach den üblichen paar Sekunden in den Vergessensmodus klickt?…

Schön reicht nicht aus


Bilder, die mich so richtig packen, gibt es nicht so viele. Es gibt zig tolle Fotos, die ich schön finde. Wegen ihrer Ästhetik, ihrer Bildsprache und ihrer Art, ein Motiv darzustellen. Aber der Wunsch, mich länger mit einem Bild zu beschäftigen, weil es etwas in mir anspricht. Nein, das kommt viel seltener vor.

Attraktive Kombination aus Sruktur – Licht – Farbe

Die hier gezeigten Bilder haben alle ihren ganz speziellen Wert für mich. Ich empfinde sie als schön. Das Beitragsbild geht aber noch darüber hinaus. Als ich es letztens in Lightroom entwickelte, erinnerte ich mich an seinen Entstehungsprozess. Daran, was ich damals dachte und sowieso an diesen herrlichen und speziellen Tag.

Denn alle Aufnahmen sind an einem nebeligen Tag in Hannover entstanden. Ja, richtig gelesen: Nebel in Hannover. 🙂 Der ist mitten in der Stadt so selten, dass ich mir sofort die Kamera schnappe und losdüse, wenn er sich mal zeigt. An dem Tag war ich mit meinem 100 mm Makroobjektiv unterwegs. Das benutze ich nicht nur ausschließlich für Nahaufnahmen, sondern auch oft für die Waldfotografie.

Die Eilenriede im Nebel – mein erstes Ziel.

Gefühlt 1000 Waldbilder später ging es dann weiter bis zum Annateich in Kirchrode, einem Stadtteil von Hannover. Dort gibt es eine kleine Brücke. Ich lehnte mich an ihr Geländer und genoss die Landschaft. Mein Blick schweifte über den nebelverhangenen See, bei dem man das gegenüberliegende Ufer nur erahnte. „Toll! Wow, wie ich das liebe!“

Alles wirkte so soft und friedlich. Und die gedämpfte Stille verstärkte diesen Eindruck noch.

Schemenhafte Konturen mit Spiegelungen – ein ungewohnter Anblick des Annateiches

Irgenwann blickte ich dann auch am Geländer hinunter und entdeckte die vielen Wassertropfen, die glitzernd an zahlreichen Spinnenfäden hingen. Etwas Wind kam auf und es war freihand gar nicht so einfach, die Tropfen scharf zu stellen. Ich brauchte eine ziemlich kurze Verschlusszeit, wollte aber den ISO-Wert nicht zu hoch einstellen.

(Un)bewusste Gefühle

Ich liebe Wassertropfen, egal wo, auf Pflanzen oder an Spinnennetzen. Irgendwie erstaunlich, wie so etwas Alltägliches immer wieder Freude macht! Und wie vielfältig die Tropfen sind. Je nach Lichtstimmung und Lichteinfall können sie eine komplett unterschiedliche Wirkung entfalten. Allein das ist schon eine Entdeckungsreise!

Vor nebeligen Hintergrund sind die Tropfen fast schwarzweiß.

Die meisten Wassertropfen an den Spinnenfäden habe ich damals vor freiem Hintergrund fotografiert. Nicht so das Beitragsbild. Rückblickend waren es verschiedene Dinge, die mich faszinierten. Viele Gedanken und Gefühle liefen aber eher im Unterbewusstsein ab und wurden mir erst im Nachhinein durch eine intensive Bildanalyse bewusst:

Ich denke das Wesentliche waren die vielen Kontraste und Gegensätze, die eine Rolle gespielt haben. Der Kontrast des Geländers mit den dazwischen hängenden Tropfen: dunkle Streben – helle Tropfen; runde Kugeln – gerade Linien. Dazu die Art der perlenartigen Anordnung an den Fäden – irgendwie komplex und doch einfach.

Wieso ist das Bild so interessant für mich?

Die Tiefe der Linienführung, hervorgerufen durch das Wechselspiel von Schärfe und Unschärfe. Der Gegensatz des einzelnen scharfen Tropfens auf der rechten unteren Seite zum unstrukturiert wirkenden Konglomerat auf der linken Seite…

Was will ich eigentlich?

Ich probierte mit einigen Verrenkungen verschiedene Blickwinkel aus, um… Ja, um was eigentlich? Um zu dokumentieren? Nein, dann hätte ich aus größerer Entfernung fotografiert, um einen besseren Überblick zu bekommen. Um das Motiv zu interpretieren? Um ihm meine ästhetische Vorstellung zuzuweisen? Wie bei den Aufnahmen zuvor spielte das sicher auch eine Rolle.

Aber darüber hinaus trieb mich noch mehr an. Etwas in der Szene ging mit mir in Resonanz. In einen inneren Dialog. Es forderte mich sozusagen zu einem gegenseitigen Wechselspiel heraus. Ich fotografierte es, nicht nur um das Motiv zu interpretieren, sondern um etwas auszudrücken. Ein bestimmtes Gefühl? Gar etwas über mich selbst?

Eine kleine Geschichte. Was wird passieren?

Ob Bilder berühren, ist eine ziemlich persönliche Sache. Dahinter steht die Frage, warum und zu welchem Zweck ich eigentlich fotografiere. Das kann je nach Anlass unterschiedlich sein. Aber genau darum geht es. Was will ich mit dem Foto erreichen? Dokumentation? Story? Kreative Darstellung? Selbstausdruck?

Je besser ich die Antworten kenne, desto befriedigender ist der Entstehungsprozess. Ich fotografiere gezielter. Es führt zu Bildern, die für mich nicht beliebig sind. Die nicht nur ins Bildarchiv wandern, sondern eine Verwendung finden. Vielleicht treffen die Resultate nicht den allgemeinen Geschmack. Aber wie wichtig ist mir das?

Ich bin sehr gespannt. Wie sieht es bei Euch aus? Habt Ihr auch Bilder oder bestimmte Motive, die Euch fesseln und wisst Ihr, warum? Warum Ihr (sie) in einer bestimmten Art und Weise fotografiert? Und was das eigentlich mit Euch, mit Eurer Persönlichkeit zu tun hat?

Images and Text © Simone Foedrowitz (F O T O H A B I T A T E). All Rights Reserved.

18 Comments

  1. Danke für die sehr schönen und ungewöhnlichen Bilder. Mir gefällt das zweite Foto am besten. Warum weiß ich nicht so genau, wahrscheinlich ist es die Struktur des Netzes und der Tropfen vor dem zart farbigen Bokeh. Und in den Tropfen spiegeln sich auch noch Pflanzen!
    Ich fotografiere oft um zu dokumentieren, probiere aber auch ungewöhnliche Blickwinkel aus, die mir spontan gefallen haben. Die Bloggerei hat mich in fotografischer Hinsicht immer wieder bereichert.
    Was den Nebel betrifft, in München haben wir davon reichlich! Vielleicht ziehe ich mal mit der Kamera los, wenn es wieder soweit ist. Hast du mit Stativ fotografiert und Filter benutzt?

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    1. Danke für Deine ausführlichen Gedanken! Auch beim dokumentarischen Fotografieren kann man viel von seiner Persönlichkeit mit einbringen. Denn auch wenn das Wort Dokumentation es suggeriert, auch diese Art von Fotografie kann nie objektiv sein. Allein der gewählte Ausschnitt, der Blickwinkel lässt das gar nicht zu.
      Ich bin über das rein dukumentarische Fotografieren (meist Urlaub) zunehmend zur kreativen Fotografie übergegangen. Es macht viel Spaß Neues auszuprobieren und sich zugleich auszudrücken. Aber die Dokumentation hat vor allem für die Reisefotografie immer ihren Platz.
      Stativ und Filter wie ND oder Polfilter nutze ich nur, wenn ich eine bestimmte Bildkonzeption im Kopf habe ansonsten gilt „je weniger Fotogepäck, desto besser.“
      Der grüne Ring um Hannover hat durch die Leine auch viel mehr Nebel. Ich wohne aber mitten im Zentrum. Da ist zu viel Asphalt und Beton. VG Simone

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  2. Es sind sehr schöne Tropfenbilder und Nebelbilder. Nebel wirkt oft mystisch und ruft eine ganz bestimmte Stimmung hervor.
    Mit dem Bild in Resonanz gehen macht es für einen persönlich zu etwas ganz Besonderen.
    Liebe Grüße Ariana

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    1. Vielen Dank für Deine Gedanken, liebe Ariana. Bei der Bilderflut, der wir mittlerweile ausgesetzt sind, tut es gut, wählerisch zu sein. Die Bilder, die ich nach Jahren noch immer betrachten kann, sind mir die liebsten. Dir eine schöne Woche!

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  3. Heute wollte ich eigentlich nur kurz in den Blog schauen, habe auch nicht viel zu sagen, doch Dein Beitrag fasziniert mich, wie fast alle Deine Beiträge. Wenn ich meine Bilder so in Gedanken betrachte, liebe ich ganz speziell meine schwarz/weiß Bilder sehr und die Infrarotfotos. All die schönen bunten Bilder sind oft nur Reiseerinnerungen, die natürlich ganz persönlich wertvoll sind. Ich fühle da so wie Du und mich erstaunt bei Deiner Frage meine Antwort – ich liebe meine schwarz/weiß Bilder ganz besonders. Und jetzt gehe meinen 74, weiter feiern 😉 Am besten gefallen übrigens mir die Tropfen schwarz/weiss. Habe auch ein ähnliches Bild.
    LIebe Grüße
    MAren

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    1. Liebe Maren, ❤️lichen Glückwunsch nachträglich! Ich hoffe, Du hattest einen wunderschönen Tag!
      Dass ich Dich mit Deiner Antwort auf meine Frage zum Erstaunen gebracht habe, freut mich wirklich sehr!! Dann hoffe ich, dass ich demnächst vielleicht mehr von Deinen Schätzchen zu sehen bekomme? Aber vielleicht ist es ja auch so wie bei mir. Einige meiner Lieblinge will ich gar nicht öffentlich zeigen 😉
      Dir eine schöne Woche!

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  4. Schön, sehr gut nachvollziehbar. So ähnlich erlebe ich das auch. Ohne diese Resonanz, wie Du sie beschreibst, sind meine Bilder nur beliebig… vielleicht einfach zur Dokumentation tauglich. Bilder, die mir etwas bedeuten, erzeugen jedoch diese Resonanz. LG Franz

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    1. Vielen Dank für Deine Sichtweise! Bei der Dokumentation sind mir andere Aspekte wichtig. Ich reise gerne und erinnere mich genauso gerne an bestimmte Landschaften, Situationen und Menschen. Für dieses Ziel wäre zuviel kreative Resonanz eher abträglich. Wobei ich auf Reisen eigentlich beides miteinander verbinde. Nachher beim Sichten und entwickeln der Bilder wird nach diesen Kriterien „Erinnerungsstück“ oder „kreative Resonanz“ ausgewählt. Der Rest landet im Papierkorb. Bei der Menge an Bildern, die ich oft fotografiere, geht das gar nicht anders. Das kennst Du bei Deinen ICM sicher sehr gut. Da können ja mal locker 150 Bilder bei einem bestimmten Motiv zusammen kommen. ☺️

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    2. Das ist verrückt. Ich mache das alles haargenau gleich wie Du! 😊

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  5. Die Bilder sind traumhaft schön liebe Simone! Die Tropfen begeistern mich am meisten. Wie du schreibst, sind es oft die Kontraste, die ein Bild besonders spannend machen. Ich sehe es wie du, die Bilder, mit denen man in Resonanz geht, berühren am meisten. Die bleiben ein Leben lang (naja, fast) Lieblingsbilder 🙂 Es gibt durchaus Fotos, über die ich mich freue, weil eine Aufnahme gut geworden ist, weil etwas wie ein winziges Insekt besonders scharf geworden ist. Manchmal aber befinde ich mich beim Fotografieren fast in einer meditativen Ruhe. Wenn dann noch ein schönes Motiv oder besonderes Licht daherkommt, dann paßt alles. Meine Lieblingsbilder sind meist die mit einem besonderen Licht, häufig im Herbst. Danke für diesen interessanten Beitrag, der mal wieder zum Nachdenken angeregt hat! LG von Almuth

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    1. Vielen Dank liebe Almuth für Deinen ausführlichen Kommentar!
      Es ist mit das Schönste beim Fotografieren, wenn man in so einen meditativen Zustand kommt. Ich nenne es Flow. Dann vergesse ich auch Zeit und Raum und bin nur im Jetzt. Alles was zählt ist das Motiv durch die Kamera und ich…
      Das goldene Licht im Herbst ist im Norden aber auch extrem schön…
      VG Simone

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    2. Ja, genau. Manchmal habe ich Angst, daß mein Fahrrad nicht mehr da ist, wenn ich aus diesem Zustand wieder aufwache 😉 Ich kriege dann auch absolut nichts mehr mit. Funktioniert 10 x besser als meditieren zu Hause! LG

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  6. Deine Tröpfchenbilder sind wirklich klasse. Und natürlich hat wirkliches Fotografieren etwas mit der Persönlichkeit zu tun, denn Fotografieren ist eine Art sich auszudrücken, seine Sicht auf die Welt zu vermitteln. Wie andere Formen der Kunst auch.
    Viele Grüße
    Horst

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    1. Danke Horst! Ich sehe es genauso, wenn man die Fotografie als Form der Kunst ansieht und sie auch entsprechend nutzt.
      Aber wie viele Fotos, die wir tagtäglich sehen, sind beliebig und hinterlassen keinerlei Wirkung? Und selbst perfekte Bilder erscheinen irgendwann langweilig, wenn sie immer und immer wieder von anderen nachgeahmt werden oder sie inszeniert wirken. Na ja, weil sie einfach inszeniert wurden.
      Mein Artikel soll v.a. dazu anregen, sich zu hinterfragen, warum ich ein Foto mache und ob es für mich Bedeutung hat, ohne es zugleich als Kunst bezeichnen zu wollen.
      Ob ich das große Potential der Fotografie wirklich für mich persönlich nutze oder vielleicht auch, was mich daran hindert. Insbesondere die Interaktion zwischen Motiv. Das, was ich Resonanz nenne. Das ist für mich noch etwas anderes, als ein Motiv für den reinen Selbstausdruck zu nutzen. Denn da ist das Motiv vorrangig Mittel zum Zweck. Resonanz heißt für mich gleichwertige Wechselbeziehung.
      VG Simone

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    2. Ja, Kunst ist ein großes Wort und ich benutze es sehr ungern und nur in dieser Verbindung. Sonst stehe ich auf dem Standpunkt: Kunst ist das, was andere dafür halten. Wo ich aber nicht ganz mitgehen kann, ist deine Vorstellung von Resonanz als gleichwertiger Wechselbeziehung. Dass ein Motiv, z. B. eine Landschaft in besonderem Licht, etwas bei einem auslösen kann steht außer Frage. Doch trotz der Wechselbeziehung ist dies für mich nicht gleichwertig, denn die Stimmung schlägt in mir eine bereits vorhandene Saite an. Eine andere Person lässt dies völlig kalt. Die von mir erlebte Stimmung dann für andere in einem Bild erlebbar zu machen, ist große Fotografie. Wenn das Bild nacher nur bei mir wirkt, weil ich mich an die Situation erinnere, ist das etwas dürftig.
      Liebe Grüße Horst

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    3. Wenn ich die Szenerie einer Landschaft fotografiere, kann ich versuchen, bestmöglich die Stimmung zu transportieren.
      Ich kann aber auch zusätzlich eine Aussage oder Intention integrieren, die nur in Resonanz mit dem Motiv entsteht. Es ist schwer in Worten zu fassen, was genau dieses Wechselspiel mit dem Motiv für mich beinhaltet. Definitiv ist es aber ein tiefgründigerer Prozess als ein Motiv lediglich interpretativ fotografieren zu wollen.
      Mittlerweile ist das Wichtigste an meiner Fotografie, dass sie mir persönlich etwas bedeutet. Ob dokumentarisch, kreativ oder als Selbstausdruck, je nach Ziel. Wenn ich mir die Bilder meiner Anfangsjahren in der digitalen Fotografie anschaue, fehlt ihnen aus meiner heutigen Sicht oftmals der Ausdruck. Sie sind nicht aussagekräftig genug, halt langweilig. Eigentlich Fälle für den Papierkorb. 😁
      Also mache ich mir heutzutage viel mehr Gedanken um die Intention meiner Fotos. Wenn dann das Resultat auch beim Betrachtenden in irgendeiner Form eine Wirkung hervorruft, freue ich mich. Wenn nicht, gibt das sicher einen Stich und ich hinterfrage mich, woran es liegt. Aber es ist mir mittlerweile weniger wichtig.
      Das gilt nicht für alle Fotos. Z.B. bei Auftragsfotografie, Fotowettbewerben oder Blogbeiträge gelten andere oder zusätzliche Kriterien. Da möchte ich schon, dass bei den Resultaten Freude aufkommt. Am besten ist, wenn beides passt. 😊
      Allein über das Thema, ob Fotografie eigentlich Kunst ist, lässt sich wunderbar diskutieren. Letztlich ist die Fotografie so differenziert, wie es unterschiedliche Sichtweisen dazu gibt. Und das ist auch gut so. Hauptsache es bereichert!
      Daher vielen Dank für Deine Gedanken!

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